Mann im Hörsaal

Wissenschaftsbotschafter Prof. Ulrich Berger

Ulrich Berger ist Lehrstuhlinhaber für Automatisierungstechnik an der BTU Cottbus-Senftenberg. Bevor er 2001 nach Cottbus kam, war er Oberingenieur an der Universität Bremen und Professor für Fertigungstechnik an der Hochschule Lüneburg. Prof. Berger ist ehemaliger Sprecher des Clusters Metall.

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Prof. Ulrich Berger im Gespräch mit Thomas Prinzler | rbb Inforadio

Geht man in eine moderne Fabrik – zum Beispiel eine Autofabrik – ist man immer wieder überrascht, wie wenig Menschen dort arbeiten, viel erledigt Kollege Roboter, die Abläufe sind automatisiert. Das ist Ihr Arbeitsgebiet?

Richtig, wenn Sie heute in eine Fabrik gehen, in Produktionsumgebungen gehen, ist es zwar nicht menschenleer, aber das Personal ist reduziert. Die Anlagen sind voll- oder teilautomatisiert, neben Robotern gibt es viele Produktionsautomaten, die speziell für bestimmte Vorrichtungen hergestellt werden. Hintergrund ist aber auch, dass wir die Ergonomisierung der Produktion vorantreiben, das heißt, Arbeitsvorrichtungen oder Verrichtungen mit einer großen Belastung am Arbeitsplatz werden reduziert. Auf der anderen Seite haben wir einen Fachkräftemangel in Deutschland nicht nur bei Ingenieuren sondern auch bei mechatronischen Fachkräften, bei Werkzeugmachern, Elektrikern. Da hilft die Automatisierung. Und ein weiterer Punkt ist die Qualität. Beispielsweise sind die deutschen Automobilhersteller nach wie vor sehr gut im Export. Qualität muss sich verkaufen und Qualität bedeutet natürlich auch, dass ich keine Zeit mehr habe wie früher, Produkte und Prozesse nachzusteuern, zu justieren. Das muss dann praktisch nach einer gewissen Zeit natürlich vollautomatisch, der Qualitätsvorschrift entsprechend, hergestellt werden können.

Für den Ingenieur ist nix zu schwör – heißt es: Woran forschen Sie gerade? Welche Herausforderungen haben Sie sich gesucht oder haben sie gesucht?

Wir stellen derzeit fest, dass es bei allen Produkten eine Individualisierung gibt. Individualisierung bedeutet, der Kunde greift viel stärker in den Produktionsprozess, in den Herstellungsprozess und dann natürlich in die ganzen logistischen Abläufe mit ein. Er versucht, sein Produkt so individuell zu konfigurieren. Der Hersteller kann hier nur mühsam oder mit Hilfe von Plattformtechnologien oder mit Hilfe von entsprechend schnellen Zuliefernetzwerken reagieren. Und da stellt sich die Frage: Wie wäre die Fabrik der Zukunft gestaltet, wenn wir den Kunden viel stärker in die Fabrik mit hineinholen, virtuell natürlich, über Internetverbindungen, über soziale Netzwerke und andere Dinge? Und wie könnte der Kunde dann auch gleichzeitig feststellen, ob seine gewählte Produktkonfiguration einen eher positiven oder eher negativen ökologischen Fußabdruck hat? Der Kunde ist dann mündig und kann dann auch entscheiden, ob er das möchte oder nicht. Natürlich müssen dann auch Preis und Lieferzeit stimmen.

Da heißt das Stichwort Digitale Fabrik?

Richtig. Die ganzen Fabrikprozesse sind heute digital durch Simulationstechnik visualisiert. Bevor eine Schraube in die Hand genommen wird, ist alles am Computer bereits simuliert. Es haben Stückzahlberechnungen stattgefunden, es werden Taktzeiten vorbestimmt, es werden Layoutkonfigurationen vorher ermittelt, und es wird kostenmäßig durchgerechnet, ob sich die Fabrik zu bestimmten Stückzahlen lohnt. Alle Komponenten werden in dreidimensionaler Form aufgestellt und dann werden verschiedene Szenarien durchgeführt, z.B. einmal mit einer nicht so gut ausgelasteten Produktion, mit einer Produktion, die an der Kapazitätsgrenze läuft, oder einer schwankenden Produktion. Und dann werden auch die Kundenwünsche eingespielt. Die digitale Fabrik ist also ein wichtiger Ausgangspunkt für diese Systeme.

Wie wichtig ist der VDI hier in der Region – auch für den Technologie- und Wissenstransfer und die Vernetzung?

Wir haben hier in Berlin-Brandenburg derzeit über 6.000 persönliche Mitglieder, die sich in über 50 Arbeitskreisen dem fachlichen und natürlich auch dem persönlichen Dialog widmen. Der Dialog mit der Gesellschaft, der Dialog mit der Bevölkerung, der Dialog untereinander ist ein wichtiges Argument für die Existenz des VDI.

Der bereits angesprochene Fachkräftemangel: Wie problematisch ist er für Brandenburg und Berlin?

Der Fachkräftemangel ist inzwischen auch in Berlin und Brandenburg eingetreten, nicht nur in meiner alten Heimat in Baden-Württemberg, wo wir derzeit 15.000 Fachkräfte suchen und nicht besetzen können. Früher war die Region Berlin-Brandenburg eher ein Geberland, d.h. die Ingenieure die hier ausgebildet wurden, sind ins Bundesgebiet gegangen. Jetzt fehlen hier etwa 1.700 Ingenieure - mit steigender Tendenz. Es entsteht dadurch natürlich ein expliziter Wertschöpfungsverlust. Ein Fahrzeug, das hier produziert wird, ein Schienenfahrzeug beispielsweise, eine Triebwerksturbine, basiert immer auf Ingenieursarbeit. Und andererseits hängen an jedem Ingenieursarbeitsplatz drei andere Arbeitsplätze - in der Logistik, im Service, im Dienstleistungsbereich. Bundesweit hochgerechnet bedeutet das bei einem Fachkräftemangel von 96.000 Ingenieuren (2012) einen Wertschöpfungsverlust von 4 Milliarden Euro pro Jahr.

Warum sind Sie gerade hier in Cottbus? Was hält Sie in Cottbus?

Also Cottbus bedeutete für mich, im Gegensatz zu den größeren Einrichtungen wie der Universität Stuttgart, an der ich studiert hatte, oder der Universität Bremen, an der ich promoviert hatte, ein hohes Maß an Selbstverwirklichung und Selbstgestaltung. Man kann in Cottbus Aufbauarbeit leisten, was mir sehr liegt. Und die Brandenburgische Technische Universität ist wirklich eine sehr gut ausgestattete technische Universität mit vielen Möglichkeiten der Erweiterung. Ich konnte mich hier sehr gut in einem neuen Feld etablieren. Die Ingenieurschulen oder ingenieurwissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten sind traditionell schon 100 Jahre alt - Berlin mit der renommierten Technischen Universität, Aachen, Karlsruhe und Stuttgart. Da muss man sich natürlich in der Besonderheit, in der intelligenten Spezialisierung seinen Weg suchen und den haben wir gefunden.
Der Veränderungsprozess im Sinne des Change-Management, ist doch dazu geeignet, hier mal wirklich etwas Innovatives, etwas international Sichtbares zu erzeugen und dann geht man natürlich auch nicht von Bord.

Cottbus liegt ja etwas am Rande. Worin sehen Sie Vor- und Nachteile ihres Standortes?

Da könnte ich jetzt Aachen anführen, das ist die andere Randregion in Deutschland. Die ist aber durch die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule natürlich auch international sehr sichtbar. Für Aachen war die Randzone nie ein Problem. Das Forschungsgeschäft läuft sowieso international und da spielt es keine Rolle ob sie von Cottbus nach Kopenhagen fliegen oder von Aachen aus. Also da ist die Welt klein geworden und flach.

Welche Rahmenbedingungen haben Sie? Welche wünschen Sie sich?

Also die Rahmenbedingungen, was die Ausstattung der Hochschulen insbesondere der Neubauförderung und -genehmigung betrifft, sind exzellent. Wir haben, was die Studierenden betrifft natürlich immer auch einen Großteil aus dem Berliner Raum, dem Sächsischen Raum, beispielsweise aus der Dresdner Region abgezogen. Wir müssen hier weiter dran arbeiten. Man muss aber auch ständig eine Profilbildung betreiben. Man darf sich nicht verwässern lassen. Man muss die Profile einfach schärfen und sagen: Stehen wir beispielsweise für die Energie der Zukunft, stehen wir für eine Elektromobilität, stehen wir für die Fabrik der Zukunft und wenn ja, wie können wir das wissenschaftlich, personell und mit Ausstattung hinterlegen?!

Wie ordnen Sie sich und ihren Standort international ein? Gibt es Partner für Sie auch im brandenburgischen Umfeld?

Ich hatte ja in meiner Baden-Württembergischen Heimat gelernt, dass man mit kleinen und mittelständischen Unternehmen sehr viel Innovation betreiben kann. Die großen Innovationen kommen ja vorwiegend aus den kleinen mittelständischen Unternehmen, große Unternehmen übernehmen dann meistens die Verwertung. Wir haben in Brandenburg ein sehr gutes Portfolio an kleinen und mittelständischen Unternehmen mit spezialisierten Bereichen, Beispielen, die auch internationale Sichtbarkeit haben. Man schaut zunächst, vielleicht fehlerhafter Weise, auf die großen Unternehmen, die pressewirksam, öffentlichkeitswirksam sind. Ich würde niemals die kleinen und mittelständischen Unternehmen vergessen. Die sind meistens durch persönlich haftende Gesellschafter und Inhaber geführt, die jeden Tag für ihre Mitarbeiter da sind und auch in der Region eine soziale und gesellschaftliche Komponente zu bilden. Und da bin ich stolz drauf und möchte dieses gern auch mit unterstützen, viel mehr in die Breite, in die Fläche des Landes gehen und schauen, wo sich in den Regionen Brandenburgs hier der eine oder andere noch tummelt, mit dem man mal ein Projekt machen könnte.

Als Wissenschaftsbotschafter ist man ja auch Diplomat – was verkünden Sie der Welt vom Wissenschafts- und Technologiestandort Brandenburg?

Brandenburg ist ein weltoffenes Land. Ich habe selber an meinem Lehrstuhl etwa 40% der Mitarbeiter, die nicht Deutsche sind. Ich stelle fest, dass die Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland hier sehr warm und zuvorkommend aufgenommen werden. Und sie schätzen die Umgebung und die Nähe zu Berlin. Das ist ein bisschen so wie Cambridge als Vorort von London. Auch Cambridge ist von Grün umgeben, von Wasserstraßen, von Seestraßen, da gibt’s die Kanu-Clubs… Dieses Ambiente in einer grünen Oase nicht weit von einer Metropole weg zu forschen, Freiräume zu finden und zu suchen, in einem internationalen, dialogoffenen Gesprächsklima - das wird vielerorts positiv verstanden.