Mann lehnt sich an Tafel

Wissenschaftsbotschafter Prof. Christoph Meinel

Christoph Meinel ist Institutsdirektor und CEO der HPI gGmbH, Dekan der Digital Engineering Fakultät und Inhaber des Lehrstuhls für Internet-Technologien und Systeme an der Universität Potsdam. Er hat an der Humboldt-Universität zu Berlin Mathematik und Informatik studiert und dort promoviert. Nach der Wende wurde er als Informatik-Professor nach Trier berufen, ehe Christoph Meinel 2004 den Ruf an die Universität Potsdam, das Hasso-Plattner-Institut zu leiten, annahm.

 

Audio Version

Prof. Christoph Meinel im Gespräch mit Thomas Prinzler | rbb Inforadio

Das Hasso-Plattner-Institut ist als Ausbildungsstätte für IT-Spezialisten breit aufgestellt, auch über das rein ingenieurtechnische Wissen hinaus. Woran forschen Sie gerade?

Wir sind jetzt gerade wieder in der Internetentwicklung an einer ganz spannenden Stelle, denn das Internet ist noch in der Entwicklung begriffen. Das bisher genutzte Protokoll, also die Technik hinter dem Internet, ist ausgereizt. Was heißt das? Um im Internet jemand ansprechen zu können, um eine E-Mail zu schreiben oder um Daten auszutauschen, muss ich den Partner adressieren können, braucht der eine Adresse im Internet. Das ist die sogenannte IP-Adresse. Das Datenpaket muss wissen, wo es hin muss und das Internet, genauer die Router dort müssen wissen, wo sie das Datenpaket hinschicken. Da war man zu Beginn des Internets der Meinung, wenn jeder Mensch einmal eine E-Mail- oder eine Web-Adresse oder eine Internetadresse hat, das reicht aus. Und so hat man dann Raum für etwa vier Milliarden IP-Adressen geschaffen. Jede ist genau 32 Bit lang, und demzufolge kann es höchstens zwei hoch 32, also etwa vier Milliarden verschiedene Internetadressen geben. Und nun ist das von der rasanten Entwicklung des Internets überholt worden. In relativ kurzer Zeit (das Internet, wie wir es kennen, gibt es erst seit 20 Jahren) sind diese vier Milliarden Adressen fast ausgeschöpft. Warum? Weil natürlich jeder Mensch viel mehr als nur eine IP-Adresse braucht: sein Handy braucht eine Adresse, sein Computer im Büro, zu Hause, sein Kühlschrank braucht in Zukunft eine Adresse, die Haustechnik, das Auto. Und für dieses Internet der Dinge werden Internetadressen gebraucht. Wir müssen also das gängige Internetprotokoll mit nur 4 Milliarden IP-Adressen zügig durch ein neues ersetzten, das sogenannte IPv6 Protokoll. Dabei wollen wir vom Hasso-Plattner-Institut helfen und versuchen, unsere Gesellschaft, die Wirtschaft, die Institutionen, zu überzeugen, ihre Systeme neu auszurichten, so dass sie in der Lage sind, auch mit dem neuen Internet-Protokoll umzugehen. Denn da kommt z.B. aus Asien, die da schon sehr viel weiter sind, ein Druck auf uns zu, dass wir im Internet den Anschluss nicht verpassen und auch in Zukunft teilhaben können am weiteren Wachstum des Internets mit seinen innovative Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft.

Ich vermute mal, eine nicht vorhandene Kooperation zwischen Wirtschaft und Ihrem Institut wäre undenkbar!?

Das ist undenkbar in der ganzen Informatik, nicht nur im HPI mit seinem Bezug auf Hasso Plattner, den Stifter unseres Instituts und Gründer und Aufsichtsratsvorsitzenden von SAP, dem größten deutschen Software-Konzern. Das ist auch undenkbar, wenn man junge Leute technologisch ausbilden und in die Lage versetzen will, neue IT-Systeme zu entwickeln und zu betreiben. Diese Systeme sind inzwischen so komplex, dass wir an den Universitäten die jungen Leute gar nicht mehr in Berührung mit solchen Systemen bringen können. Wir brauchen die Partner in der Wirtschaft, die Partner in der Verwaltung, in der Industrie, die natürlich sehr große IT-Systeme betreiben, um den jungen Leuten das auch in der Ausbildung zeigen zu können. Und die Vorstellung, die es lange gab, von dem Studenten im Keller mit der Cola-Flasche und der Tafel Schokolade, die ist lange passé. Das sind heute Teams, sehr leistungsfähige und meist interdisziplinäre Teams, die müssen ausgestattet sein mit einem hohen Grad an Sozialkompetenz, an Kommunikationskompetenz, um diese Themen aus den unterschiedlichen Bereichen unserer Gesellschaft aufzugreifen und entsprechende IT-technische Lösungen dafür zu entwickeln und anbieten zu können.

Haben Sie genügend Interessenten oder gehen Informatikstudenten nicht eher nach Saarbrücken oder Amerika?

Sie sprechen ein ganz heikles Thema an. Dabei ist nicht Saarbrücken oder Amerika die Konkurrenz, sondern dass zu viele unserer jungen Leute in Deutschland nicht das Vertrauen haben, dass sie durch ein zugegeben relativ hartes Studium wie das Studium der Informatik, des IT-Systems-Engeneering oder auch allgemeiner ein Ingenieurstudium auf lohnende lebenslange Berufskarrieren blicken können. Da glaubt mancher doch mit einem einfachen Studium oder mit einem bunteren Angebot oder mit einem modischeren Studienfach mehr zu erreichen.

Uns fehlen in Deutschland Ingenieurstudenten. Wir haben am HPI sehr viele Bewerber und können auswählen, aber in Deutschland fehlt in den Bereichen Mathematik, Informatik, Ingenieurwissenschaft der Nachwuchs und was ganz problematisch ist, junge Damen können sich nicht entschließen ein Studium in diesem Bereich aufzunehmen. Dem entgegen steht, dass die wenigen, die sich das trauen, sehr gute Leistungen bringen. Wenn wir am Ende des Masterstudiums oder des Bachelor-Studiums die besten Studenten auszeichnen, dann sind da typischerweise 50 % Frauen dabei, obwohl der Frauenanteil bei den Studierenden nur zwischen 10 und 20 % variiert.

Wo finden Sie Kooperationen? In der Region oder doch eher international?

Informationstechnologie ist ein sehr globales Geschäft. Selbst wenn wir in Deutschland mit einer Firma anfangen zu sprechen über ein Projekt, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass wir bald mit Außenstellen dieser Firma irgendwo in dieser Welt zu tun haben und an dem Projekt gemeinsam arbeiten. In der Region erleben wir vor allem junge Start-up-Unternehmen, auch Studenten von uns sind da beteiligt. Die großen Firmen, die großen Unternehmen, die wir in der Kooperation auch brauchen, um junge Leute auch mit richtig komplexen IT-Systemen in Verbindung zu bringen, die finden wir dann eher nicht in der Region.

Was ist ein gelungenes Beispiel von Kooperation?

Beispiel SAP. Das ist zwar nicht ganz ungefährlich, weil mancher nämlich das Hasso-Plattner-Institut und SAP gar nicht richtig unterscheidet. Ich sage dann immer, SAP und HPI sind vollkommen unabhängige Institutionen, aber verbunden wie in einer Familie, da gibt es einen gemeinsamen Vater, nämlich den Gründer des größten IT-Unternehmens in Deutschland, der SAP, und das von ihm initiierte und finanzierte Universitätsinstitut, das HPI. Aufgrund der Bedeutung von SAP kooperieren wir natürlich in ganz verschiedenen Projekten mit SAP, wie auch mit anderen Firmen. Wir haben in der Vergangenheit recht erfolgreich zusammengearbeitet mit den Kollegen von SAP in Paolo Alto, in dem großen SAP-Lab im Silicon Valley in den USA, wir haben gut zusammengearbeitet mit den SAP-Kollegen in Walldorf. Aus dieser Erfahrung hat sich dann bei SAP sehr schnell die Meinung gebildet, dass es sinnvoll ist, näher ran zu rücken und hier in der Region etwas aufzubauen. Wir haben dann über das wie und wo zusammen diskutiert, und insbesondere auch mit dem Argument überzeugt, dass unsere Region Berlin-Brandenburg über eine sehr große und vielfältige Universitätslandschaft verfügt mit vielen Universitäten und Fachhochschulen und mit zahlreichen Studienangeboten. Das macht es interessant für Hochtechnologiefirmen, in die Region zu kommen. SAP zum Beispiel hat ein Innovationscenter in Potsdam gegründet, übrigens das einzige von SAP in der Welt. Es befindet sich noch im Aufbau. Doch schon zeigt sich, dass es in regionaler Nachbarschaft noch einfacher ist, zusammenzuarbeiten und gemeinsame Projekte zu akquirieren und zu stemmen.

Sie haben sich 2004 von Trier nach Potsdam rufen lassen. Was war ausschlaggebend? Und was hält Sie seitdem hier?

Die Konstellation mit dem Hasso-Plattner-Institut ist einmalig in Deutschland. Da ist ein Gründer aus dem IT-Bereich, der zu Wohlstand gekommen ist, diesen Wohlstand teilt und sagt: „Mit diesem Wohlstand möchte ich die Ausbildung von jungen Leuten befördern und sie befähigen, einmal führend im IT-Bereich tätig zu werden.“ Das schafft eine Situation, in der an den spannenden Themen dieser Zeit gearbeitet werden kann. Universitäten, in Deutschland öffentlich gefördert, sind da aus verschiedenen Gründen manchmal etwas langsam. In staatlichen Systemen muss für alle Gleichheit gelten und da sind dann die Initiativen Einzelner, ich sag mal, schnell gebremst, zumindest nicht gefördert. Am HPI, wenn wir da eine Idee haben, wenn es etwas gibt, wo wir glauben, dass das ein interessantes Forschungsthema ist oder eine fruchtbringende Kooperation befördert, dann haben wir in Hasso Plattner einen sehr verständigen Stifter, mit dem wir sprechen und der aufgrund seiner großen Erfahrungen sagt: „Mensch das ist toll, das machen wir!“, oder: „Mmh, damit sollten wir uns eher nicht befassen!“ – Und entsprechend kann es dann morgen losgehen, z.B. mit unserem neuen openHPI Angebot, bei dem wir in Verbindungen mit den neuen sozialen Medien über das Internet moderne Onlinekurse zu aktuellen Themen der Informatik anbieten, die weltweit jeder nutzen kann.

Sie sind Wissenschaftsbotschafter Brandenburgs. Was sagen sie der Welt über die Vor- und Nachteile ihres Standortes?

Der Standort hat glücklicherweise sehr interessante und herausragende wissenschaftliche Einrichtungen. Insofern gibt es nicht das Problem, eine Wüste als Botschafter zu verkaufen, sondern einen lebendigen Wissenschaftsstandort mit Universitäten und Hochschulen. Potsdam gilt als die Stadt mit der höchsten Wissenschaftlerdichte in Deutschland, prozentual zur Gesamtbevölkerung gesehen. Wenn ich an das GFZ denke oder die Fraunhofer oder Max-Planck-Institute in Golm, die bilden hier in der Region einen wirklich interessanten Wissenschaftsstrauß. Jetzt habe ich nur die Brandenburger Einrichtungen erwähnt, natürlich wird in diesem Kontext dann immer auch auf die großen Berliner Wissenschaftseinrichtungen, die Universitäten oder das Matheon und anderes hingewiesen. Wir sollten das hier schon als Berlin-Brandenburg sehen, auch wenn das zwei verschiedene Bundesländer sind, ist der Standort, die Region eine. Ich erzähle weiter, was hier Tolles stattfindet, versuche, Leute zu begeistern. Es ist glücklicherweise auch gar nicht so schwer hier in die Region Besucher her zu bekommen. Da ist die Metropolenwirkung von Berlin – und dann ist natürlich das viel schönere Potsdam.