Mann im Labor

Wissenschaftsbotschafter Prof. Andreas Lendlein

Andreas Lendlein ist Leiter des Instituts für Biomaterialforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht am Standort Teltow und Universitätsprofessor (C4) für Materialien in den Lebenswissenschaften an der Universität Potsdam sowie Chemieprofessor an der FU Berlin. Er ist Sprecher des Helmholtz Querschnittsprogramms "Regenerative Medizin und Aktive Biomaterialien" im Forschungsbereich Gesundheit und Mitglied des Direktoriums des Berlin-Brandenburger Zentrums für Regenerative Therapien (BCRT).

Bereits vor ein paar Jahren konnte man über das, woran Sie forschen, nur staunen. Denn es ist ein bisschen wie Zauberei: Sie haben Fäden entwickelt, die können in eine Wunde eingebracht werden – und die vernähen sich dann selber. Wissenschaftlich korrekt sind die Fäden Formgedächtnispolymere. Was ist das?

Formgedächtnispolymere sind Kunststoffe, die ihre Form ändern können, indem sie sich daran „erinnern“, aus welcher Form sie einmal programmiert wurden. So ist es möglich, die Polymere bei einer bestimmten Temperatur zu verformen, nach dem Abkühlen verbleiben sie in dieser sogenannten temporären Form. Diese bleibt so lange erhalten, bis man sie wieder erhitzt, womit sie die ursprüngliche, permanente Form wieder einnehmen. Voraussetzung für diesen Effekt ist der Aufbau des Polymers aus verschiedenen Komponenten, Netzpunkten und Schaltsegmenten.

Sind die Fäden nun bereits im Krankenhaus angekommen?

Ziel unserer Aktivitäten ist es, die Ergebnisse der Grundlagenforschung in klinische Anwendungen umzusetzen. Dabei ist eine Einführung eines neuen, abbaubaren Implantatmaterials als Basis neuer Implantate eine besondere Herausforderung, sowohl bei der Produktentwicklung, als auch bei der Zulassung für die klinische Anwendung. Entsprechend lang sind auch die Entwicklungszeiten.

Ein Hauptforschungsgebiet für die Anwendung von Polymeren ist deren Anwendung in der Medizin – bei Implantaten, die eingebaut und immer im Körper bleiben aber auch bei solchen, die sich auflösen?

Implantate sind ein Beispiel für die Anwendung von Biomaterialien in der Medizin, und die Abbaubarkeit der Polymere ist hierbei eine wichtige Funktion. Wir erforschen, wie sich das Abbauverhalten von Kunststoffen gezielt variieren und steuern lässt. So können abbaubare Implantate beispielsweise bei Knochendefekten für eine bestimmte Zeit als Leitschiene für den Aufbau von neuem Knochengewebe dienen und aus dem Körper verschwinden, während der Knochen gebildet wird. Biomaterialien sind aber auch darüber hinaus vielseitig verwendbar, z.B. als Träger von Wirkstoffen oder als Materialien, die außerhalb des Körpers in Kontakt mit Körperflüssigkeiten stehen, etwa Membranen bei der Dialyse.

Woran forschen Sie gerade?

Die Herausforderungen im Bereich der Biomaterialentwicklung sind sehr vielfältig. Ein wichtiges Forschungsfeld ist derzeit beispielsweise die Implementierung von Multifunktionalität in einem Material, das heißt, dass bestimmte Funktionen, wie z.B. Stimuli-Sensitivität, Abbaubarkeit oder kontrollierte Wirkstofffreisetzung auch kombiniert und für die jeweilige medizinische Anwendung maßgeschneidert werden können. Stimuli-sensitive Polymere sind Polymere, die auf Veränderungen in ihrer Umgebung, sogenannte Stimuli, mit Veränderungen z.B. ihrer Form, Durchlässigkeit oder Farbe reagieren. Eine offene Forschungsfrage ist hier auch die Suche nach alternativen Stimuli zu Wärme. Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, die Wechselwirkungen zwischen den Materialien und ihrer biologischen Umgebung besser zu verstehen. In unserem Helmholtz Virtuellen Institut „Multifunktionale Biomaterialien für die Medizin“ erforschen wir in Zusammenarbeit mit der FU Berlin und dem Helmholtz-Zentrum Berlin die Wechselwirkungen zwischen körpereigenen Proteinen und Biomaterialien.

Sie gehören zum Direktorium des Berlin-Brandenburg Centrums für Regenerative Therapien (BCRT), Ihr Institut ist Bestandteil des Helmholtz-Zentrums Geesthacht(HZG), zudem sind Sie Handlungsfeldbeauftragter des Netzwerks Gesundheitswirtschaft Health Capital – gut vernetzt also. Wie wichtig ist diese Vernetzung?

In komplexen und interdisziplinären Forschungsgebieten wie der Regenerativen Medizin ist die Vernetzung und intensive Zusammenarbeit besonders wichtig. Das gilt für die Zusammenarbeit in verschiedenen Forschungsprojekten, in der Ausbildung und im Hinblick auf die Translation, der Überführung der Ergebnisse der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung. Am klinischen Translationszentrum Berlin-Brandenburg Center für Regenerative Therapien, das gemeinsam von Charité und HZG betrieben wird, wollen wir in einer solchen interdisziplinären Kooperation diese Translationsprozesse beschleunigen.
Das BCRT berücksichtigt zusätzlich zu den Technologie- und Produktentwicklungen auch ökonomische Gesichtspunkte und Zulassungsfragen und es unterstützt die Forschungsprojekte z.B. auch mit gezielten Marktanalysen. Für die Vernetzung tragen aber auch Gesundheitsinitiativen in Berlin-Brandenburg bei, so das Netzwerk Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg „HealthCapital“, das die fortschreitenden Umsetzung des Masterplans Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg der Länder mit seinen Aktivitäten, Workshops und anderen Veranstaltungen unterstützt.
Sehr wichtig ist die Kooperation auch im Bereich der Ausbildung, damit alle Beteiligten aus den unterschiedlichen Disziplinen die gleiche Sprache sprechen. Neben der Graduiertenschule BSRT, startet im Januar 2013 die neue Helmholtz-Graduiertenschule für Macromolecular Bioscience hier am Standort, in der wir in Zusammenarbeit mit der FU Berlin und der Universität Potsdam eine strukturierte Doktorandenausbildung durchführen werden.

Worin sehen Sie Vor- und Nachteile ihres Standortes?

Zunächst einmal profitieren wir von der langen Tradition der Wissenschaft unseres Forschungsstandorts in Teltow- Seehof, wo auch immer schon die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie Tradition hatte. Ein weiterer Vorteil ist natürlich die große Anzahl von Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterschiedlicher Disziplinen. Dazu kommt gerade im Bereich der Gesundheitswirtschaft eine starke Industrie in unserer Region. Und nicht zu vergessen ist der attraktive Standort Berlin, wodurch hochqualifiziertes Personal zu gewinnen ist.

Warum sind Sie gerade hier in Teltow?

Der Teltower Traditionsstandort ist von ganz besonderem Interesse: Eines der ersten ausschließlich mit Polymerforschung befassten Institute in Deutschland wurde hier 1920 durch die Vereinigten Glanzstoff Fabriken (VGF) gegründet. Seitdem besteht die Polymerforschung hier am Standort und zwar bereits damals mit der Ausrichtung, Theorie und Praxis in Chemie, Physik und Polymertechnologie unter einem Dach zusammen zu bringen. Damals wurden bereits Pilotanlagen für Kleinserien-Produktion aufgebaut, um die gewonnenen Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung den angeschlossenen Betrieben zu Gute kommen zu lassen. Und auch bereits damals wurde daneben Lehre und berufliche Ausbildung großgeschrieben.
Durch unsere Lage im Südwesten Berlins haben wir eine große Nähe zum neuen Flughafen, wie auch zu wichtigen Forschungseinrichtungen, wie Freie Universität Berlin, Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung (BAM) oder auch zum Helmholtz-Zentrum Berlin am Wannsee.

Was sind hier Ihre /wissenschaftlichen Herausforderungen?

Die meisten der heute in der Medizin verwendeten Kunststoffe wurden nicht gezielt für die Medizin entwickelt, sondern entstanden als Polymerentwicklungen für industrielle Anwendungen. Diese Materialien können die komplexen, spezifischen Anforderungen biomedizinischer Anwendungen nicht oder nur teilweise erfüllen. Deshalb forschen wir an neuen, multifunktionalen Biomaterialien, die bessere und teilweise bislang nicht realisierbare medizinische Möglichkeiten eröffnen, durch maßgeschneiderte Eigenschaften und Funktionen für die jeweilige medizinische Applikation.

Welche Zukunftsvision haben Sie für Ihr Institut? Für den Technologiestandort?

Die Vision für den Campus Teltow-Seehof ist, Wissenschaft und Wirtschaft näher zusammen zu bringen. Daher werbe ich für die Ansiedlung weiterer Unternehmen in unseren technologischen Feldern auf dem Campus selbst und in der Region.